Leseprobe
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Arme Millionäre
Haben Tellerwäscher die besseren Karten?
Manfred Hoffmann
Teller hat es schon immer gegeben und es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die Produktion jemals eingestellt wird. Solange der Mensch zum Überleben essen muss, braucht er Geschirr und jemanden, der es nach der Mahlzeit wieder sauber in den Schrank stellt. Das ist allein schon eine Sache der Hygiene. Wer will schon von bösen Keimen dahingerafft werden. Der Millionär will das jedenfalls nicht. Denn dann hätte er seine Millionen umsonst angehäuft. Darum wird er auch immer darauf achten, dass es genug Tellerwäscher gibt.
Moderne Tellerwäscher haben auch das Bedienen der Geschirrspülmaschine erlernt. Dazu hat der Millionär keine Zeit. Er muss ja Millionen machen und schauen, dass sie ihm nicht abhandenkommen. Insofern haben Tellerwäscher schlechte Karten, wenn sie selber Millionär werden wollen. Der Job ist schon vergeben.
Die Millionäre spenden zwar hin und wieder für gute Zwecke aber teilen mit den Tellerwäschern wollen sie natürlich nicht. Durch das viele Teilen wären sie dann irgendwann keine Millionäre mehr.
Millionäre brauchen auch noch viele andere Menschen, die für sie Geld heranschaffen. Einer allein wird es nie schaffen, auf eine Million zu kommen. Das beste Beispiel ist der Tellerwäscher.
Selbst wenn er Teller wäscht bis zum Umfallen oder die allergrößten Spülmaschinen füllt, wird es nicht zur Million reichen. Es sei denn, er heiratet die Tochter des Millionärs oder erbt sein Vermögen. Das kommt aber im wahren Leben nur sehr selten vor. Und wenn das passiert, muss sofort ein neuer Tellerwäscher her.
Tellerwäscher sind aber durchaus in einer starken Position. Sie werden immer gebraucht, im Gegensatz zu Millionären. Ein Millionär kann auch niemals wissen, was aus seinen Millionen wird, wenn er das Zeitliche segnet. Das kann ihm schon zu Lebzeiten den Seelenfrieden rauben.
Das schlimmste ist natürlich, wenn der Millionär auf Grund widriger Umstände seine Millionen schon vor dem Ableben verliert. Er muss dann möglicherweise seine Teller selbst oder noch schlimmer, die anderer Leute waschen. So etwas kann ihm den Rest geben.
Der Tellerwäscher hingegen hat keine Millionen zu verlieren. Damit ist er fein raus. Er kann, ganz im Gegenteil, selbst zum Millionär aufsteigen, wenn dort ein Platz freigeworden ist. Dennoch sind diese Fälle sehr selten.
Was jedoch selten ist, hat für den Menschen immer einen hohen Wert. Damit die Distanz zwischen den hohen Werten und dem oft weniger strahlenden Dasein nicht zu groß wird, hat man die Märchen erdacht.
Für die Berufsgruppe der Tellerwäscher wurde ein ganz besonderes Märchen erfunden: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Damit wurde eine ganz exzellente Möglichkeit geschaffen, die Leute bei den Tellern und gleichzeitig bei guter Laune zu halten.
Leider hat es zu dem Zeitpunkt, als das Märchen erfunden worden ist, den Nobelpreis noch nicht gegeben. Der Erfinder hätte große Chancen gehabt, damit geehrt zu werden. Das Märchen besagt, dass jeder Tellerwäscher Millionär werden kann. Er muss es nur richtig wollen und sich vor allem richtig anstrengen.
Der wenig erfreuliche Umkehrschluss: wer es nicht zum Millionär bringt, hat es gar nicht so richtig gewollt und sich erst recht nicht ordentlich angestrengt. Also weiß der Tellerwäscher immer ganz genau, dass er noch nicht genug geackert hat, wenn er noch nicht Millionär ist. Er ist selber schuld.
Schließlich sieht der Tellerwäscher ein, dass nicht jeder zum Millionär taugt, bleibt bei seinen Tellern und hat fortan seine Ruhe. Die Millionäre behalten so ihre Tellerwäscher, müssen aber ständig zittern, dass ihre Millionen nicht doch irgendwie flöten gehen. Aber auch wenn es so aussieht, als ob das Tellerwäscher-zum- Millionär-Märchen von den Millionären in die Welt gesetzt worden wäre, droht für den aufstrebsamen Tellerwäscher die Gefahr von ganz anderer Seite.
Wir wissen, dass die Legende vom einst tellerwaschenden Millionär aus Amerika zu uns gelangt ist. Dort ist der Aufstieg in die Millionärsliga nicht gänzlich verpönt. Dem Emporkömmling wird durchaus Anerkennung gezollt. Hierzulande herrscht ein raueres Klima. Statt „yes, we can“ gilt eher „Schuster bleib bei Deinen Leisten“.
Aufstieg in Maßen ja, aber nicht zu viele Sprossen auf einmal, und immer schön darauf achten, aus welchem Stall man kommt. Vom Inspektor zum Oberinspektor – vom Arzt zum Chefarzt, das ist ok. Aber vom Schlosserlehrling zum Professor – von der Sekretärin zur Vorstandschefin, da wird es schon problematischer. Außerdem gilt neureich als nicht sonderlich schick.
Ohne Abstammung ist der Reichtum des Millionärs nur halb so viel wert. Allerdings ermöglichen es ihm die finanziellen Verhältnisse einen Titel käuflich zu erwerben, sollte er gar zu sehr unter der Schmach leiden.
Die Tellerwäschergemeinde lässt auch nur ungern jemanden vorbeiziehen. Das kann dem finanziellen Oberhaus wiederum nur Recht sein. Die freiwillige Selbstkontrolle wird deshalb nach besten Kräften unterstützt. Es scheint eine Art natürlicher Reflex zu sein. Will einer vorbei, wird ihm ein Bein gestellt.
In den Fußballstadien gibt es jedes Wochenende sportliche Vorbilder genug. Hat sich der Stürmer den Weg frei vor das gegnerische Tor erkämpft, wird ihm von hinten die Hose heruntergerissen oder von der Seite das Schienbein zerbröselt.
So hart geht es in anderen Berufsparten meist nicht zu. Eher subtiler sind dort die Gepflogenheiten. Gern kommen sie in wohlgemeinten Ratschlägen aus dem Familien- oder engsten Freundeskreis daher.
„Was, Du willst den Job wechseln? Du willst Dich selbständig machen? Das ist doch rausgeschmissenes Geld; das ist doch Zeitverschwendung; das würde doch sonst jeder machen; man kann nicht alles haben; denk doch mal an dieses; denk doch mal an jenes; das haben andere schon vor Dir versucht; bleib auf dem Teppich; das ist nichts für Dich; denk dran, was dem passiert ist; das solltest Du Dir aber wirklich genau überlegen; denk doch an Deine Familie …“
Nicht selten zeigen diese Breitseiten Wirkung und der fromme Nebel der Bescheidenheit breitet sich aus. Hier bin ich, soviel Stunden kann ich, was bekomme ich dafür. Und weiter geht es mit dem Tausch Zeit gegen Geld. Zementiert wird so das Los als ewiger Stunden- Tage- oder Monatslöhner und Sparbuchbesitzer.
Das ist sicher nicht das Schlechteste für den Start. Wenn es dabei bleibt, heißt es aber Abschied nehmen von Träumen, Wünschen und Hoffnungen.
Millionäre wären keine Millionäre, wenn Sie es dabei belassen würden. Zahltag bedeutet für sie etwas völlig anderes als für die Tellerwäscher. Letztere geben ihr Geld einfach aus und weg ist es. Natürlich geht das meiste für die Lebenshaltungskosten drauf.
Sollte aber mal was übrigbleiben, legt der Tellerwäscher das Geld zurückt, damit er es später als größere Summe doch wieder nur ausgeben kann, für ein Auto oder den Urlaub zum Beispiel. Grundsätzlich spricht ja nichts dagegen. Auch der Tellerwäscher soll sich zeitgemäß fortbewegen und sich ordentlich erholen. Besser als das Konto zu überziehen, ist das allemal.
Der Millionär hingegen hält ständig Ausschau, wo er sein Geld hinschaffen kann, damit es ihm noch nehr Geld bringt. Er ist immer auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten. Damit kauft er sich praktisch immer neues Geld.
Nun hat der Tellerwäscher natürlich nicht die Möglichkeiten des Millionärs. Aber Möglichkeiten sich in modernen Zeiten Rücklagen für Investitionen zu beschaffen, hätte er schon. Auch wenn er seinen Arbeitstag im Tellergefängnis verbringt, hindert ihn ja niemand daran, wenigstens seine Gedanken frei fliegen zu lassen.
Buchstäblich täglich und stündlich lässt das Gros der Menschen eine Chance nach der anderen verstreichen, während auf ihrem Rücken Kasse gemacht wird. Kaum jemand bemerkt das.
Das Internet zum Beispiel benutzen immer mehr Menschen ohne das Prinzip zu erkennen, das inzwischen Oberhand gewonnen hat.
Vielleich blitzt gelegentlich die Frage auf, wieso denn die vielen Seiten im Netz stehen und kostenlos mehr Informationen zur Verfügung stellen als die Besucher eigentlich verkraften können.
Das geschieht alles andere als selbstlos. Das Ganze ist im Grunde nichts anderes als ein gigantisches Empfehlungsnetz. Wer eine Seite aufruft, wer auf ein Symbol oder ein Bild klickt, folgt einer Empfehlung oder spricht praktisch selbst eine Empfehlung aus. Jeder Klick, jeder Suchbegriff wird registriert in Statistiken eingearbeitet und in Algorithmen verpackt.
Dann wird passgenau auf den gefundenen Seiten Werbung platziert. Es werden also Empfehlungen ausgesprochen. Es ist das Prinzip der milliardenschweren Unternehmens „Google“, Facebook Co. sich für diese Empfehlungen bezahlen zu lassen. Die Internetnutzer sind willige Erfüllungsgehilfen und dazu noch völlig kostenlos.
Nicht nur Google und Facebook, auch die anderen Unternehmen versorgen sich gegenseitig mit bezahlten Empfehlungen. Besuchen wir die Seiten unserer Lieferanten oder finden wir mal eben schnell über Google die passende Informationsseite und klicken wir dann auf eine Werbung, schon klingelt es beim Betreiber der Webseite die Kasse, weil der sich jeden Klick bezahlen lässt.
Wer heute bei „Amazon“ einkauft, weiß nicht, wer da noch zusätzlich Empfehlungsprovision einstreicht. Gerade Firmen wie Amazon arbeiten intensiv mit dem Empfehlungsinstrument. Uns kann das im Grunde egal sein. Der Preis für die Einkäufe ändert sich dadurch ja nicht.
Die Großen wissen Empfehlungen durchaus zu schätzen und sind auch bereit dafür zu zahlen. Natürlich haben sie auch nichts dagegen, wenn die Kleinen, die sogenannten Endverbraucher die Empfehlungen umsonst aussprechen.
Wenn es hoch kommt, bekommen die dann durchaus mal einen Kugelschreiber, einen Toaster, gegen Zuzahlung eine Digitalkamera oder sie dürfen an einer Verlosung teilnehmen.
Bei diesen Eintagsfliegen bleibt es aber auch. Die Zeitung hat einen regelmäßig zahlenden Abonnenten gewonnen und der Freundschaftswerber hat eine neue Bratpfanne oder ein Strandbadetuch.
Dabei ließen sich solche Empfehlungssysteme auch von Privatleuten lukrativ nutzen. Die haben aber sofort mit zwei Hindernissen zu kämpfen. Da sind zum einen die routinemäßigen Abrater, meist bar jeglicher Kenntnis, von was sie eigentlich abraten. Zum anderen ist es tatsächlich nicht immer leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Im menschlichen Zusammenleben ist das wiederum nichts Außergewöhnliches.
Das gilt vor allem dann, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Hier helfen nur klare Informationen weiter. Wer weiter fest entschlossen ist, seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch den Tausch seiner Zeit gegen Geld zu verdienen kann sich diese Informationsrecherche sparen.
Eines sollte dabei jedoch ganz klar sein. Bei der eingetauschten Zeit handelt es sich um einen großen Teil der knapp bemessenen Lebensspanne auf dieser Welt. Die wird schlicht gegen bedrucktes Papier mit dem verführerischen Namen Geld eintauscht.
Mit anderen Worten, wir tauschen unser Leben gegen ein nicht einklagbares auf Dauer kaum haltbares Versprechen von ständig wechselnden Regierungen.